Wer hätte gedacht, dass Wendel so kurzweilig sein kann. Zugegeben, die Überfahrt mit keiner akzeptablen Gesellschaft außer Lope – und bereits das strapaziert die Nerven doch sehr – war wenig vielversprechend. Doch diese Insel und vor allem das Städtchen Kirk haben mehr zu bieten als erwartet.
Allein schon der Name der amüsant drolligen Absteige, die man hier Taverne nennt, “Zum feuchten Otter” lässt auf einen Sinn für Humor stoßen, den man in unserer großen Heimat Castille lange suchen würde. Es ist wundervoll zu beobachten, wie sich andere in Bescheidenheit üben können. Eine so seltene Tugend, sieht man von der unserer Heimat ab. Vor allem unsere direkten Nachbarn im Osten könnten sich daran ein leuchtendes Beispiel nehmen…
Aber ich schweife ab.
Lope und ich hatten die Stadt kaum betreten, da suchte uns bereits ein Bote eines Landsmanns auf. Zugegeben, ich hatte mit so viel guter Erziehung so fern der Heimat nicht gerechnet. An Maeostro Eduardio Ballestrados jedoch vermag ich beim besten Willen kein schlechtes Haar zu finden. Ob der Überraschung überhaupt einen Landsmann anzutreffen und von diesem auch noch in sein Haus geladen zu werden, fiel unser Geschenk bescheiden aus. Ich räume ein, dass Lope in dieser Hinsicht erstaunlich zuvorkommend war, wenngleich es sicherlich auch andere Möglichkeiten gegeben hätte.
Ballestrados jedenfalls musste sich wohl um sein Amt als Leider der Gilde der Bergleute sorgen, denn ein anderer Mann – seinerseits aus Montangé – forderte ihn zum Duell für die Amtszeit des nächsten Jahres. Wie sich inzwischen herausstellt hätte der Feigling sein Duell ruhig selbst austragen können. Aber stattdessen bestimmte er einen Mann, der für ihm kämpfte. Maeostro Mduardio indes ist nicht Mitglied irgendeiner Gilde und war daher auf Lopes und meine Hilfe angewiesen.
Er berichtete uns, dass Gunther Hilstrøm für den Konkurrenten kämpfen solle. Ein Mann, der derzeit daran arbeite, sich einen Namen als Kämpfer zu machen und folgerichtig einen solchen noch keineswegs erreicht hatte. Es schien mir daher angemessen, Lope diese Sache austragen zu lassen. Gelegentlich hat er etwas Arbeit nötig, sonst verkommt er völlig an einem Tisch und zu vielen Bechern Wein. Nun, was soll ich sagen – meine Entscheidung war offenkundig weise und richtig, denn Lope zeigte diesem grobschlächtigen Wendel, wie man in Castille anderen Manieren beibringt. Die Amtszeit unseres Landsmanns ist also gesichert; und obendrein hat Lope nun auch noch eine schöne Narbe, deren Geschichten die Damen an seiner Seite sicherlich erfreuen wird und sie ihm gewogen sein lässt. Wäre ich nicht, wer ich bin, ich würde ihm diese letzte Eigenschaft neiden. Glücklicherweise haben sich derartige Probleme nie gestellt.
Um uns beiden verdiente Entspannung zu gönnen, suchten Lope und ich eines der örtlichen Badehäuser auf. Welch Wohltat diese heißen Quellen in so einem kalten Land doch sind! Es ist irritierend, die Sonne zwar zu sehen aber so wenig von ihr zu spüren. Dort jedenfalls machten wir die interessantesten Bekanntschaften.
Zum einen war da jemand, der uns nur als Tim vorgestellt wurde. Ich habe keine Ahnung, was er tut, wen er sucht und was er hier will, jedoch läuft er uns ständig über den Weg. Sein Gesicht kenne ich bereits aus dem Otter. Und dann noch dieser Name… Aus Wendel scheint er jedenfalls nicht zu sein.
Auch eine Frau, die man uns als Márya vorstellte, kreuzt häufig unseren Weg. Sie spricht Ussura, weswegen ich mich gut mit ihr unterhalten kann. Ihr Akzent – er erinnert an Eisen – bleibt mir jedoch ein Rätsel, zumal Eisen eine der wenigen Sprachen ist, die ich nicht spreche. Sie verdingt sich wohl… Nein, genau genommen habe ich nicht die leiseste Ahnung, wie sich eine solche Frau ihren Lebensunterhalt verdient. Ich glaube jedoch nicht, dass sie der Gilde der Jenny angehört. Dafür ist sie – ich möchte sagen, zu zurückhaltend. Zumindest für den Moment.
Am nachdenklichsten stimmt mich jedoch die letzte Begegnung, die wir in diesem Badehaus hatten. Ich hatte eigentlich vor, der Schicksalshexe aus dem Weg zu gehen, konnte und – wenn ich ehrlich bin – wollte mich ihrer Gesellschaft jedoch nicht völlig entziehen, zumal sie zu einem Zeitpunkt zu uns vieren starrte und ihre Augen diesen seltsamen Blick annahmen, den man ihrer Art nachsagt. So gesellte ich mich also zu ihr und führte ein durchaus interessantes Gespräch über das Schicksal und die Frage, ob man seine Zukunft denn wirklich noch ändern könne. Wie groß ist die Bürde, die Zukunft der Menschen zu sehen und wie oft hat sie der Impuls, ihnen etwas hilfreiches zu sagen schon in ihr persönliches Unglück gestürzt?
Sie sagt, wir vier würden auf eine Reise gehen, obwohl wir einander doch kaum kennen. Über See würden wir reisen und einer aus unserer Mitte würde uns verraten. Große Gefahr würde drohen, doch geht sie nicht von dem aus, um dessen Willen wir verraten wurden. Einer von uns würde schwer verletzt – es wäre schwer zu sehen, ob er überleben würde oder nicht.
Am Ende stellte sie mir die Frage, ob ich nun, da ich es kenne, mein Schicksal und das meiner Reisegefährten ändern wollen würde. Meine Antwort war klar: Natürlich nicht. In Castille stellt man sich den Gefahren, die das Leben zu bieten hat. Sollten sie einen bezwingen, so wird man aufrechten Hauptes zu sterben wissen. Ich bin mir sicher, dass Lope diese Einstellung teilt. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich, ob unsere zukünftigen Gefährten wohl die gleiche Antwort gegeben hätten.
![Syndicate this site using RSS [x]](https://fatebook.eternalevil.com/wp-content/themes/mad-meg/images/rss.png)